Bildung gegen den Krieg im Kopf

Der Kirchentag unterstützt mit einer Kollekte evangelische Schulen in Syrien und im Libanon. Christen aus der Kirche, die die Schulen betreibt, sind als Gäste in Dortmund und erzählen von schwieriger Bildungsarbeit und überwundenen Sprachbarrieren.

Pfingsten ist zwar fast zwei Wochen her, doch beim Nachtsegen auf dem Kirchentag in Dortmund wurde das Fest für Reverend Fouad Antoun noch einmal lebendig. "Um mich herum wurden verschiedene Sprachen gesprochen, das deutsche Gebet habe ich nicht verstanden", erzählt der libanesische Pastor aus der Kirchenleitung der Nationalen Evangelischen Synode von Syrien und Libanon (NESSL). "Aber alle waren im Gebet vereint und glücklich." Das gemeinsame Beten und Singen bei Kerzenschein habe ihn an die biblische Geschichte von Pfingsten erinnert, in der sich durch den Heiligen Geist plötzlich Menschen verschiedenster Herkunft verständigen können.

Antoun gehört zu einer Gruppe von syrischen und libanesischen Christen der NESSL, die auf Einladung der Evangelisch-reformierten Kirche auf dem Dortmunder Kirchentag zu Gast sind. Nicht nur als Besucher, sondern auch um von ihrer Bildungsarbeit für Flüchtlingskinder in Syrien und im Libanon zu erzählen. Ein Teil der Kollekte der drei großen Eröffnungsgottesdienste des Kirchentags kommt über das Gustav-Adolf-Werk ihren Schulen zugute.

Die NESSL betreibt vier evangelische Schulen in Syrien mit rund 5.000 Schülern und sechs im Libanon, an denen rund 700 syrische Flüchtlingskinder unterrichtet werden. Hinzu kommen zehn weitere reguläre Schulen im Libanon. Die presbyterianische Kirche mit nur rund 15.000 Mitgliedern ist in der Region für ihre Bildungsarbeit bekannt. Die erste Schule im Libanon eröffnete sie im Jahr 1837, das Aleppo College im Jahr 1847.

Der Krieg habe die Arbeit verändert, berichtet Tami Dekrmanjian, Lehrerin am Aleppo College. Vier Jahre lang blieb die Schule wegen des Krieges geschlossen, 2016 eröffnete sie mit nur 62 Schülern neu. Mittlerweile werden 1.600 Kinder unterrichtet. Die große Mehrheit sind Muslime. "Wir wollen sie nicht missionieren, aber wir wollen ihnen christliche Werte vermitteln", berichtet Tami Dekrmanjian. "Bildung ist eine starke Waffe gegen Krieg und Extremismus."

Reverend Hadi Ghantous, der aus Syrien stammt und im Libanon lebt, ergänzt, das Ziel sei, aus den Schülern gute Bürger für die Zeit nach dem Krieg zu machen. "Der Krieg findet im Kopf statt", sagt der Pastor. "Wenn wir die Kinder nicht bilden, wer tut es dann? Der IS? Oder andere Extremisten?" Viele Schüler seien in den Flüchtlingslagern geboren, sie hätten nichts anderes erlebt als den Krieg. "Bei uns sitzen dann Sunniten, Aleviten, Schiiten und Christen zusammen im Klassenzimmer", sagt Ghantous. "Gruppen, die viele Kinder nur als 'die Anderen' kennengelernt haben." Der Unterricht sei ein Weg, Barrieren abzubauen.

Dass die NESSL eine kleine Minderheitenkirche ist, sieht Ghantous für die Arbeit als Vorteil. "Wir sind klein, wir stellen für niemanden einen Bedrohung dar." Man habe gute Beziehungen zu allen Religionsgruppen, von orthodoxen über evangelikale Christen bis zu Muslimen und auch zum syrischen und libanesischen Staat. Staatliche Unterstützung erhält die Kirche für ihre Bildungsarbeit aber nicht. Die Arbeit finanziert sie über eigene Mittel und Spenden, vor allem von Partnerkirchen. Doch jedes Jahr bange man um den Erhalt der Schulen, berichtet Pastor Ghantous. "Wir bemühen uns sehr, aber wir können nicht unsere Kirchen schließen, um die Schulen offenzuhalten."

Der Austausch mit der Evangelisch-reformierten Kirche in Leer besteht seit fünf Jahren. Bei einem Besuch von Kirchenpräsident Martin Heimbucher im Libanon entstand im vergangenen Jahr die Idee, eine Gruppe zum Kirchentag einzuladen. Ein vergleichbares christliches Großereignis gebe es im Libanon nicht, sagt Reverend Fouad Antoun. Außerdem seien dort die verschiedenen Altersgruppen meist getrennt. "Es war toll, hier junge und alte Menschen zusammen singen und beten zu sehen", sagt der Pastor. "Diese Erfahrung nehmen wir mit nach Hause."

Eine Anregung für den Kirchentag hat Antoun auch: "Es wäre toll, wenn es mehr Übersetzungen für die internationalen Gäste gäbe." Denn alle Sprachbarrieren hat der Geist von Pfingsten auf dem Kirchentag noch nicht weggeweht.

Von Jasmin Maxwell (epd)
21. Juni 2019

Die Evangelische Kirche in Syrien und dem Libanon (NESSL) im Internet


Bild oben: Pastor Hadi Ghantous, geboren in Damaskus und jetzt tätig in Minyara im Norden des Libanon; Tami Dekrmanjian aus Aleppo und dort Lehrerin am Aleppo-College; Pastor Fouad Antoun aus Marjayoun und Ebi-Saki im Süden des Libanon.
Bild unten: Die syrisch-libanesische Delegation mit Kirchenpräsident Martin Heimbucher (links), Ökumenpastor Thomas Fender (5. von links) und Helmut Bruns (Pastor in Wolfsburg, 6. von links)

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