Ein Ausdruck des Größenwahns und der Zerstörungslust

Zwangsarbeiter beim Bau des Bunker Valentin (© Landeszentrale für pol. Bildung/Staatsarchiv Bremen)

Kirchenpräsident Martin Heimbucher hat in einem Interview und in einer Videobotschaft an den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren erinnert. Am 1. September begann mit dem deutschen Überfall auf Polen der größte militärische Konflikt der Menschheitsgeschichte. Heimbucher nannte den Weltkrieg einen Ausdruck des Größenwahns und der Zerstörungslust, von Beginn an ein Verbrechen. Durch den systematischen Völkermord an den europäischen Juden, aber auch an Polen, Russen und anderen Völkern, habe er sich zu einem beispiellosen Extrem gesteigert. Eine Lehre aus dem Krieg müsse sein, dass die Würde des Menschen heilig sein müsse. Für die Kirchen müsse gelten, dass sie um des Glaubens willen niemals gemeinsame Sache machen dürfe mit diktatorischen Regimes. Heimbucher betont: "Nie wieder darf die Christenheit ihre Verwurzelung im Judentum verleugnen."


Der Wortlaut des Interviews:

Wofür steht für Sie der 1. September 1939?
An diesem Tag begann Hitler einen Revanchekrieg, mit dem er die deutsche Niederlage von 1918 umkehren und ein Nazi-Imperium in Europa aufrichten wollte. Mit seinem Größenwahn hat er viele Millionen Menschen in den Tod gerissen. Der Krieg war von Anfang an ein Verbrechen. Durch den systematischen Völkermord an den europäischen Juden, aber auch an Polen, Russen und anderen Völkern, wurde er zu einem beispiellosen Extrem gesteigert - und schlug am Ende auf unser eigenes Land zurück.

Müssen wir Deutsche mit Blick auf unsere Vergangenheit anders über Krieg und Vernichtung sprechen, als andere Völker?
Die verheerende Niederlage, die Zerstörung vieler Städte und die Vertreibung aus dem Osten hat die Menschen in unserem Land traumatisiert. Dieses Trauma prägte nicht nur die Generation derer, die den Krieg miterlebt hatten. Das Trauma prägte auch noch die Generation der Nachkriegskinder, zu der mein Jahrgang 1955 gehört. Die Verletzungen an Leib und Seele wirkten noch bohrender dadurch, dass mit der Zeit die Erkenntnis unausweichlich wurde: Es war unser Land, es waren unsere Väter und Mütter, die für diese Katastrophe mitverantwortlich waren. Davon können wir in unsrem Reden nicht absehen.

Wie lässt sich denn 80 Jahre später eine Haltung aufrechterhalten, die heißt: „Wir lernen aus der Geschichte“?
Die unveräußerliche Würde eines jeden Menschen muss uns heilig sein. Politisch müssen wir entschiedene Demokraten sein, für ein System der Gewaltenteilung eintreten und die Freiheitsrechte eines jeden Menschen verteidigen. Jede Generation muss neu Zivilcourage lernen und einüben. Wir müssen es begreifen und leben, dass das Gelingen unseres Zusammenlebens davon abhängt, dass wir alle dafür Verantwortung übernehmen: "die Regierenden und die Regierten", wie es die Barmer Theologische Erklärung formuliert.

Spüren Sie als Kirchenmann, da die Kirchen in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes überwiegend auch ein unrühmliche Rolle spielten, eine besondere Verantwortung?
Die Kirche muss immer wieder befreit werden von einer Beschränkung ihres Horizonts durch nationale oder ideologische Scheuklappen. Nie wieder darf die Christenheit ihre Verwurzelung im Judentum verleugnen. Es muss deutlich werden, dass wir um unseres Glaubens willen niemals gemeinsame Sache machen mit diktatorischen Regimes. Sondern dass wir mit den Bedrängten und Ausgegrenzten solidarisch sind.

(Vorabveröffentlichung, das Interview erscheint am 1. September in der Zeitschrift "reformiert")


Anlass für seine Videobotschaft ist ein Besuch der Gedenkstätte des Zweiten Weltkriegs in der Nähe von Bremen: der U-Boot-Bunker Valentin.


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