Hoffnungszeichen für die Zukunft

Ökumenepastor Thomas Fender war in der vergangenen Woche vom 12. bis 17. Januar in Beirut. Er traf dort auf Kirchenvertreter aus Syrien. Dabei begegnet er auch Halal Bitar, die bis vor zwei Jahren Lehrerin an der Schule der evangelisch-prebyterianischen Gemeinde Aleppo war.

Die Al-Nash‘ al Jadeed Schule wird seit etwa einem Jahr durch die Evangelisch-reformierte Kirche unterstützt. Als Soforthilfe stellte die Gesamtsynode im April 2015 für die Schule 10.000 Euro zur Verfügung, Ende Februar wird in einer Kollekte in allen Kirchengemeinden gesammelt. Eigentlich sollte Fender auch den Pastor der Gemeinde Aleppo und Schulleiter Ibrahim Nasir treffen, der jedoch kurzfristig seine erkrankte Mutter pflegen musste. Fragen an Thomas Fender nach seiner Rückkehr.


Herr Fender, ein Ziel Ihrer Reise war, Informationen über die Schule aus erster hand zu bekommen. Wie ist unter den Lebensbedingungen in Syrien dort ein Schulalltag möglich?
Die Lehrer versuchen, den Unterricht so gut wie möglich fortzusetzen, auch wenn die Schule durch die Kämpfe stark beschädigt ist. Zum Teil ist großes Improvisationstalent gefordert.

Im Sommer 2015 hörten wir, dass 540 Schüler die Schule besuchen, nachdem es auch schon mal 1.400 waren, wie viele kommen zurzeit?
Im Augenblick werden etwa 700 Schüler unterrichtet. Die Zahl schwankt aber, weil jeden Tag Menschen die Stadt verlassen.

Aus welchen Bevölkerungsschichten stammen die Schüler?
Die überwiegende Mehrzahl der Schüler sind Muslime, deren Familien Schwierigkeiten haben, das Schulgeld zu bezahlen. Eine wesentliche Aufgabe der Schule ist es, denen Bildung zu vermitteln, die aus den sozial schwächeren Schichten kommen. Im Hintergrund steht der Gedanke, dass Bildung davor bewahrt, in extreme und unmenschliche Ideologien abzudriften.

Auch die überwiegende Zahl der Lehrer sind Muslime. Trotzdem beginnt jeder Tag mit einer Morgenandacht.

Ist auch an der Schule festzustellen, dass viele Menschen wegen des Kriegs Syrien verlassen?
Das ist in allen Lebensbereichen in Aleppo zu spüren und natürlich auch an der Schule. Der Rückgang der Schülerzahlen ist ein Beleg dafür. Jede Woche verlassen Menschen Aleppo.

„Al-Nash’al Jadeed“ bedeutet „die neue Jugend“, - sehen Sie so etwas wie eine Perspektive für junge Menschen in Syrien?
Die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, sind davon überzeugt, dass es eine Perspektive für junge Menschen in Syrien gibt. Aus diesem Grund bleiben sie dort, unterhalten die Schule und ermutigen junge Menschen so, in Syrien zu bleiben. Durch die Schule sollen junge Menschen so auf die Zukunft vorbereitet werden, dass sie zum Aufbau des gesellschaftlichen Lebens beitragen können.

Wir haben gehört, dass die Schule enorme finanzielle Probleme hatte, wie sieht es heute aus?
Nach wie vor gibt es finanzielle Probleme, wobei die wohl nicht mehr so gravierend sind wie letztes Jahr. Viel wichtiger als Geld ist im Augenblick das Zeichen der Solidarität, dass wir mit unserer Unterstützung geben. Das ermutigt die Menschen dort sehr.

Träger der Schule ist die presbyterianische Gemeinde von Aleppo, wie ist unter den Bedingungen in Aleppo ein Gemeindeleben möglich?
Durch die Zerstörungen in der Stadt ist ein geregeltes Leben stark eingeschränkt. Die Infrastruktur ist nahezu zusammengebrochen. Es fehlt an Nahrungsmitteln, Wasser, Strom und Benzin. Die presbyterianische Gemeinde versucht im Rahmen ihrer Möglichkeiten den Menschen zu helfen. Sie verteilen Lebensmittel und Wasser und das nicht nur an die eigenen Gemeindeglieder, sondern auch an Muslime. Hinzu kommt, dass ein Teil der Gas- und Ölfelder unter der Kontrolle des IS sind, so dass es auch an Benzin und Heizung mangelt. Das erschwert gerade jetzt im Winter das Leben der Menschen.

An vielen Stellen versuchen die Bewohner Aleppos, ihre zerstörten Häuser wieder aufzubauen. Bis dahin kommen sie bei Verwandten und Freunden unter. Auch die Kirche der presbyterianischen Gemeinde ist in den letzten Jahren zweimal zerstört worden (2012 und 2014). Inzwischen hat die Gemeinde eine neue Kirche gebaut. Weihnachten ist sie eingeweiht worden. Bis die Kirche fertig war, traf sich die Gemeinde zu den Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen in einer Wohnung.

Etwa 70 Prozent der Gemeindeglieder haben Aleppo inzwischen verlassen, von den ehemals etwa 250 Familien leben nur noch 70 in der Stadt. Die, die gegangen sind, zogen entweder in andere syrische Städte, flüchteten in Nachbarländer oder nach Europa. Nachdem die Kirche zum zweiten Mal zerstört wurde, stand die Gemeinde vor der Frage: Bleiben wir oder gehen wir?

Sie hat sich entschieden zu bleiben, obwohl von den Verbliebenen die meisten der Mittelschicht angehören und somit die finanziellen Möglichkeiten zur Flucht gehabt hätten. Sie sehen in dem Neubau der Kirche auch ein Hoffnungszeichen für die Zukunft zu setzen und die Menschen zum Bleiben zu bewegen. Natürlich schafft eine eigene Kirche aber auch kulturelle Identität und verbindet die Menschen in ihrem Glauben.

Was haben Sie als Botschaft von Ihrer Reise mitgenommen?
Die Christen in Syrien wünschen sich von den Kirchen in Deutschland, dass wir ihre Not sehen und wahrnehmen und dass wir den Geschwistern im Mittleren Osten den Rücken stärken.

Interview: Ulf Preuß, 19. Januar 2016

Thomas Fender reiste nach Beirut zusammen mit dem Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers, Ralf Meister, und dem Nahost-Referenten des Evangelischen Missionswerks, Owe Boersma. Organisiert wurde das Treffen vom Dachverband der Christlichen Kirchen im Mittleren Osten (Middleeast Council of Churches), der seinen Sitz in Beirut hat.


Zu den Fotos
Oben: Die Kirche der Gemeinde nach der zweiten Zerstörung.
Unten: Eingang der Schule; Zerstörung am Schulgebäude; auf dem Schulhof; im Unterricht.
(alle Fotos stammen aus einer Präsentation, die Halal Bitar Thomas Fender vorstellte)

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